Rückschau auf die SPP 1921 Förderperioden 2016-2024
Müssen wir uns in Organisationen jede Information merken und bei Entscheidungen berücksichtigen oder dürfen und sollten wir nicht Genutztes und Irrelevantes auch gezielt vergessen? Dieser Fragen gingen die Tandemteams des SPP 1921 nach. Dabei identifizierten sie zunächst die Anwendungsbereiche des intentionalen Vergessens bei Büro- oder Produktionstätigkeiten. Diese Anwendungsbereiche reichten von einem Unterdrücken unerwünschter Gedanken oder Gewohnheiten, über Produktionsroutinen und -regeln, zu Entscheidungssituationen und dem Wissen über Teamrollen bis hin zu computergestützten Entwicklungs- und Designprozessen.
Anschließend untersuchten die Tandemprojekte Faktoren, die Impulse für intentionale Vergessen setzen. Sollte das Vergessen direkt instruiert werden oder reicht es „einfach etwas neues zu lernen“ und somit das alte „zu überschreiben“? Reicht es, an etwas „einfach nicht mehr zurückzudenken“, um es zu vergessen oder braucht der Vergessensprozess ein aktives Monitoring? Die empirischen Untersuchungen zu diesen Fragestellungen zeigten, dass es mit zunehmender Nähe zu konkreten Arbeitssituationen und -anforderungen schwieriger wird ohne digitale Assistenten und Lösungen, intentionales Vergessen zu bewirken und Vergessenswirkungen konkret zu erzielen. Je deutlicher Personen beim intentionalen Vergessen auf sich alleine gestellt sind, umso stärker wir der Einfluss von personenbezogenen Variablen wie selbstregulativ eingesetzte kognitive Kontrollstrategien, vergessensinhalt-bezogene Selbstwirksamkeit und individuelle Merkfähigkeit. Aber auch die spezifische Vergessensanforderung im beruflichen Kontext ist mit seiner Wirkung nicht zu unterschätzen. So scheint es vor allem nicht so einfach zu sein wie vermutet, etwas nicht mehr zu tun, was gut geübt und flüssig ausgeführt wurde. Dagegen trennt man sich kognitiv gerne (bzw. schnell) von Arbeitsregeln, die umständlich sind, wenn man stattdessen Verfahren ausführen kann, die als komfortabler und als Erleichterung wahrgenommen werden.
Gleichwohl konnte mit Hilfe von in den Tandems entwickelten digitalen Lösungen intentionales Vergessen gezielt unterstützt werden, wenn diese Lösungen als vertrauenswürdig und zuverlässig erlebt werden. Systeme, die ein „offloading“ von irrelevanten Informationen und Erinnerungen ermöglichen, wie z. B. Systeme zur Entscheidungsunterstützung, Desktop Assistenten, die Vergessensprozesse aktiv steuern, oder vergessende KI-Systeme in der Qualitätssicherung, die sich auf neue Qualitätsanforderungen einstellen, werden als hilfreiche Tools wahrgenommen, um sich in einer digitalisierten Arbeitsumgebung flexibel auf wechselnde Anforderungen einzustellen. Von menschlichen kognitiven Prozessen inspirierte digitale Systeme ermöglichen somit eine angenehme Arbeitserfahrung im Kontext ständig wachsender Informationsmengen und Anpassungserfordernissen.
„Intentional Forgetting in Organisationen" das DFG Schwerpunktprogramm 1921 - die zweite Phase (2020-2023)
Sowohl im Kontext von Produktionsprozessen als auch in der Verwaltung von Organisationen sind Prozess- und Routineveränderungen an der Tagesordnung. Sie stellen jedoch Organisationen immer wieder vor Herausforderungen bei der Bewältigung. Hier unterstützen die Ergebnisse der Forschung des SPP 1921 Organisationen konkret dabei, wie nicht mehr relevantes Wissen, nicht mehr relevante Prozesse und Routinen intentional vergessen werden können, um die Anwendung des Neuen, des Relevanten nicht mehr zu erschweren, bzw. konfliktfrei zu ermöglichen.
Acht interdisziplinär aus den Bereichen der Kognitions-, Arbeits- und Organisationspsychologie, Kognitionswissenschaften, angewandten und Wirtschaftsinformatik sowie den Ingenieuswissenschaften besetzten Forschungstandems
fokussieren innerhalb des SPP 1921 ihre Forschung nicht nur auf die Unterstützung und willentliche Gestaltung menschlicher Vergessensprozesse auf individueller und Teamebene, sondern beschreiben, erfassen, systematisieren, formalisieren und untersuchen Mechanismen und Methoden, wie Organisationen und (intelligente) Informationssysteme, soziotechnische Systeme, vergessen können.
Seit 2020 werden die Erkenntnisse aus der ersten Förderphase (2016 – 2019) mit dem Schwerpunkt auf die Erforschung grundlegender Mechanismen des Vergessens, in praktische Anwendbarkeit im Arbeits- und organisationalen Kontext insbesondere in der Produktion und Verwaltung übertragen.
Hierbei beantworten die Forschungsteams folgende Fragen:
- Wie sehen selbstorganisierende "vergessende" Mensch-Maschine-Systeme aus?
- Wie werden Prozesse und Strukturen mit vergessenden Informationssystemen gestaltet?
- Welche Möglichkeiten bietet ein Vergessensmechanismus im Sinne von Chancen und Risiken, der in Informationssysteme implementiert ist?
- Inwieweit verschafft das Vergessen der Organisation Zeit um auf veränderte Umfeld Bedingungen zu reagieren?
- Wie kann das Vergessen bei der Bewahrung des organisationalen Kerns helfen?
- Wie kann bei der Synthese neuer Lösungen in Entwicklungsprozessen das gezielte Vergessen von Wissen genutzt werden?
- Inwiefern führt das Vergessen zu besserer Anpassung in volatilen Umgebungen?
- Wie führen diese Wirkungen auf organisationaler Ebene zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen?
Untersucht werden mögliche kognitive Entlastungen der arbeitenden Menschen, aber auch die Voraussetzungen für Vertrauen in Technologien, genauso wie die Gestaltung und Implementierung von Vergessensmechanismen in (intelligenten) technischen Systemen, die über keine natürlichen Vergessensmechanismen verfügen.
Dabei bestehen die Ergebnisse in der Erarbeitung von Design-, Gestaltungs- und Management Empfehlungen, in der Entwicklung von Software oder Prototypen. Konkret entwickelt werden z.B. Empfehlungen zur Berücksichtigung im Change-Management, Instrumente zur Zustandsanalyse und Gestaltung sozio-digitaler Funktionsteilung, Suchmaschinen, die vergessen können, Softwareassistenten, die bei der Löschung und Archivierung von Daten unterstützen, persuasive Systeme, die unterstützen Gewohnheiten zu vergessen.
Anschauen und ausprobieren kann man die einzelnen Entwicklungen im Rahmen eines Anwendungs-Workshops im Sommer 2023.
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer: 317950545, Bewilligung KL2207/5-2.
Poster des Abschlusskolloquiums SPP 1921.
Cyber-physical Forgetting in sozio-digitalen Systemen
Poster Abschlusskolloquium SPP 1921: Cyber-physical Forgetting in sozio-digitalen Systemen.
Getrost Vergessen
Poster Abschlusskolloquium SPP 1921:Getrost Vergessen.
Managed Forgetting
Poster Abschlusskolloquium SPP 1921: Managed Forgetting.